L Twills
[Freedom/Fiction]
LP
Wenn L Twills´ Musik einen gelegentlich entrückten Charakter besitzt, dann kommt das nicht vollends überraschend. Ihr Debut Album [Freedom/Fiction] ist eine betörende Sammlung von ungeschliffenem experimentellem Pop der, wenn auch geprägt durch ihr Leben in Hamburg und der lokalen Kunstszene, reich ist durch die Einflüsse von Los Angeles, die Stadt in der es größtenteils produziert wurde.
„Los Angeles existiert durch so viele Projektionen“, erzählt Twills. „In meiner Projektion repräsentiert die Stadt eine dystopische, wüstenähnliche Ära des Spätkapitalismus, in dem es keine Zukunftserzählung mehr gibt und dennoch jeder Millimeter durchzogen ist von einem System des Profits – absurd und irrational.“
[Freedom/Fiction], also, wird nicht nur von den Klängen LA´s und des weiteren Amerika´s durchzogen (Twills gibt an während der Entstehung des Albums rotierend unterschiedliche Musik gehört zu haben, u.A. von Grimes, Grace Jones – erwähnt in dem Lied Dear Grace – bis hin zu Missy Elliot, XiuXiu und Patti Smith), sondern auch von seiner Geographie. Das dystopische Gefühl des Albums, von Songtiteln wie In Memoriam to Identity und L.A.[Automatic Subject pt.2], zu den rau programmierten Beats und den industriellen Klängen der Synths, reflektiert den Zerfall der Stadt und die sie umgebende Wüste.
„Immer wiederkehrende Motive in dem Album sind die Wüste, Trockenheit, Hitze, Fleisch, Verlorenheit, Verlust und Rückkehr von Hoffnung, die Suche nach Imagination, eine Irritation zwischen Vernunft und Wahnsinn durch Träume, Psychosen, Emotionen und sozialem Druck“ sagt Twills.
L Twills wurde in Alice Springs, Australien geboren, bevor ihre Mutter – ein einstmalig in Tokyo ansässiges Ex-Model – Zuflucht bei ihrer deutschen Familie im Norden suchte um dem Neugeborenen zu helfen. Aufgewachsen in Hamburg, beschreibt Twills ihre Mutter als „ein Hippie im Exil“ und erinnert sich daran ihre Zukunft aus Tarotkarten zu lesen. [Freedom/Fiction] enthält zweifellos ein Gefühl der Verwunderung und hinterfragt immer wieder die Systeme die die Menschheit zusammenhalten; dabei lässt sich zwischen den düsteren Synthklängen hin und wieder jedoch auch eine positive Botschaft ermitteln: die Fähigkeit durch Musik Gemeinschaften zu schaffen. Ein Teil der Zeit die Twills in LA war, verbrachte sie am CalArts, an dem sie durch ein Stipendium ein Semester studieren konnte; gleichzeitig tauchte sie in die DIY Musik- und Kunstszene ein. Das Album selbst wurde in einem Kellerverschlag ihres Wohnhauses in Eaglerock aufgenommen und produziert. „Es war eine Keller-ähnliche Situation, die man durch einen Holzschrank betreten konnte und für die Zeit in ein Studio verwandelt wurde.“
Trotz dieser sehr intimen Umgebung, erfasst [Freedom/Fiction] eine Weite. Obwohl die Bandbreite der Sounds relativ schmal gehalten ist, sind die Nuancen und der Umfang der Synthesizer Bearbeitung sowie die Sorgfalt, mit der auf das räumliche Verhältnis zwischen den gespielten und programmierten Elementen geachtet wird, atemberaubend. Auch hier wird die Vielfalt der Inspirationsquellen zu denen L Twills sich immer wieder bekennt deutlich, so zum Beispiel kinematografische Einflüsse von etwa David Lynch, Terry Gilliam oder Straub-Huillet,
Wenn es eine Konstante gibt auf [Freedom/Fiction], dann ist es L Twills´ vielseitige Stimme. Sich fortwährend durch die Musik verändernd und bewegend, durchbricht und verwandelt sie die Strukturen, die sie sich selbst geschaffen hat.Von den schwebenden und herabstürzenden Melodien – wie in Antigone´s Dream – zu harsch gesprochenen Worten in M.A.S.T.E.R.S. und Bewusstseinsstrom ähnlichen Äußerungen bei Dear Grace. Lyrische Inspirationen bezieht Twills von der experimentellen Romanautorin Kathy Acker.
„Ich wollte eine Narration kreieren, die durch ihre eigene Struktur die Idee einer all umfassenden Narration hinterfragt, statt dessen aber das sich ständige Im-Kreis-Drehen unserer Psyche, Emotionen und Erfahrungen, in dem stets gleich bleibenden Rahmen – nämlich Kapitalismus, betont,“ sagt sie.
Thematisch geht es also nicht darum, die Dinge zu eng zu betten - ein geeignetes Ziel einer Künstlerin, die bereits weit gereist ist, körperlich wie geistig, um ihrer Praxis ständig mehr Fragen hinzuzufügen. [Freedom/Fiction] ist eine atemberaubende erste Antwort.
Tracklist:
A Seite
1 Intro/ Is Anybody Outthere?
2 In Memoriam to Identity
3 M.A.S.T.E.R.S.
4 Close to your Mind [Transgression into nothing]
5 [Hypnosis] 2049
6 Dear Grace
B Seite
7 Antigone´s Dream
8 Automatic Subject
9 Apparatus
10 L.A. [Automatic Subject pt 2]
11 Freedom/Fiction